Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V.
Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen vom 12.02.2021
Der Kinderschutzbund hat sich zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz KJSG) bereits mit einer ausführlichen Stellungnahme sowie mit einer ergänzenden Stellungnahme zum Bereich der Pflegekinder geäußert.
In seiner 1000. Sitzung hat der Bundesrat zum Entwurf des KJSG eine Stellungnahme beschlossen, zu der der Kinderschutzbund Bundesverband wie folgt Stellung nimmt:
1. Der Kinderschutzbund hält viele Vorschläge des Bundesrates für nachvollziehbar und ist der Meinung, dass sie den vorliegenden Gesetzesentwurf noch einmal deutlich qualifizieren. Dies sind u.a.:
- Unsere besondere Unterstützung hat die Empfehlung, die Worte „als Träger von Grundrechten“ (1. Empfehlung BR-DRS 5/21) und den Satz „Das Kindeswohl ist vorrangig zu berücksichtigen“ (2. Empfehlung BR-DRS 5/21) im § 1 aufzunehmen. Die damit gezogene Verbindung zur UN-Kinderrechtskonvention ist mehr als sinnvoll und betont den Charakter des SGB VIII, dessen Fokus auf der Verwirklichung der Rechte der Kinder und Jugendlichen liegt nochmal explizit.
- Der Bundesrat empfiehlt an verschiedenen Stellen, dass die Information und Beratung nicht nur „wahrnehmbar“, sondern auch „verständlich und nachvollziehbar“ sein soll und ergänzt dies entsprechend (u.a. Empfehlungen 12, 25, 42 BR- DRS 5/21). Der Kinderschutzbund empfiehlt dringend, diese wichtigen Konkretisierungen im Gesetzgebungsverfahren zu übernehmen.
- Unterstützung findet für uns die Empfehlung des Bundesrats, an diversen Stellen (Empfehlungen 22, 28 und 30 BR- DRS 5/21) den Begriff der „Gewalt“ mit den Ergänzungen „Schutz vor Vernachlässigung, sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt sowie Machtmissbrauch“ deutlich zu konkretisieren und zu differenzieren. Damit wird verdeutlicht, vor welchen Formen der Gewalt Kinder und Jugendliche geschützt werden müssen. So können auch Präventions- und Schutzkonzepte entsprechend umfassender und differenzierter gestaltet werden.
2. Als kritisch und abzulehnen beurteilt der Kinderschutzbund einige Empfehlungen bzw. Vorschläge des Bundesrates im Kontext des Kinderschutzes. Die nachstehend genannten Aspekte würden in ihrer Umsetzung dazu führen, dass der Schutz von Kindern nicht verbessert, sondern schlimmstenfalls sogar verschlechtert würde.
- Die Empfehlung zur Veränderung in § 4 Abs 3 KKG (Empfehlung 53, BR-DRS 5/21), in der Berufsgeheimnisträger verpflichtet werden („sollen“, „unverzüglich“) Informationen an das Jugendamt weiterzuleiten, schließt nicht - wie vom Bundesrat beschrieben - ein Schutzlücke. Die hier bislang verwendete Kann-Regelung schafft die Möglichkeit, im Interesse der Kinder und Jugendlichen im konkreten Fall zwischen der Möglichkeit, sich als Berufsgeheimnisträger an das Jugendamt zu wenden und dem Vertrauensschutz als Grundlage für Beratung und Unterstützung im Einzelfall zu unterscheiden. Der bisherige Ermessensspielraum für die Berufsgeheimnisträger im Einzelfall schafft eine kinderschutzförderliche Grundlage für die Arbeit z.B. von Kinderärzt*innen oder Beratungsstellen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Veränderung birgt die Gefahr des Vertrauensverlustes in der Zusammenarbeit der verschiedenen Fachkräfte mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien und verunmöglicht damit deren für den Kinderschutz relevante Funktion.
- Ebenso wenig nachvollziehbar erscheint dem Kinderschutzbund die vom Bundesrat neu vorgeschlagene Norm §4 a KKG zum interkollegialen Fachaustausch (Empfehlung 55, BR-DRS 5/21). Für den nachvollziehbaren Wunsch vieler Ärzt*innen und anderer Berufsgeheimnisträger, sich zu einzelnen Fragen und Unsicherheiten pseudonymisiert auszutauschen und so höhere Handlungssicherheit zu generieren, gibt es bereits Grundlagen und Möglichkeiten. Der Austausch von konkreten Daten zu einem Fall potentieller Kindeswohlgefährdung ist mit Blick auf den Datenschutz der Patient*innen höchst bedenklich. Dies schwächt das notwendige Vertrauensverhältnis von Patient*innen und ihren Ärzt*innen. Statt sich im Fall von Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung untereinander auszutauschen, sollte vielmehr in solchen Fällen von der bestehenden Möglichkeit der Information an das Jugendamt Gebrauch gemacht werden, denn hier laufen in der Regel die Fäden bei Kindeswohlgefährdungsfällen zusammen.
Der Kinderschutzbund Bundesverband schließt sich hinsichtlich der genannten Bedenken explizit der Stellungnahme verschiedener Fachverbände u.a. der BAG Kinderschutzzentren an, die dies ebenfalls konkret aus ihrer Fachpraxis im Kinderschutz und aus der Beratung deutlich kritisiert haben (https://www.kinderschutz-zentren.org/Mediengalerie/1613462371_-_Verbaende-Stellungnahme_zum_BR-Beschluss_v._12.02.21_final.pdf).
- Der Bundesrat schlägt außerdem vor, mit einer neuen Regelung in § 8a Abs. 3 Satz 3 (Empfehlung 6, BR-DRS 5/21) das Jugendamt über den konkreten Kindeswohlgefährdungsfall hinaus zu verpflichten, Dritte einzuschalten, um damit Gefährdungen weiterer Kinder abzuwenden. Auch wenn der Wunsch, über den Einzelfall hinaus Kinder schützen zu wollen, sehr nachvollziehbar und unterstützenswert ist, könnten die vagen Formulierungen und eine nicht ganz klare Schwelle zu einer Informationspflicht, verbunden mit einer Handlungsverpflichtung, zu Unsicherheiten und zu vorschnellen Informationsweitergaben führen, die insbesondere bei falschen Verdächtigungen äußerst negative Auswirkungen auf die Betroffenen in vielen Lebensbereichen haben. Um dem Anliegen besser zu begegnen, schlägt der Kinderschutzbund vor, hier statt einer Verpflichtung eine Befugnisnorm für die Jugendämter einzuführen, die es ihnen ermöglicht , auf Basis einer Güterabwägung im konkreten Fall zu entschieden, ob eine Informationsweitergabe an Dritte der Gefährdungsabwendung bei weiteren Kindern dienlich ist, oder ob dies im akuten Fall nicht notwendig erscheint, sondern das Persönlichkeitsrecht Betroffener zu wahren ist. Der Kinderschutzbund schließt sich in 3 diesem Punkt der Stellungnahme von Prof. Fegert zum § 8a SGB VIII in seiner Stellungnahme an. https://www.bundestag.de/resource/blob/822406/14407f479747cda85be6cbc0053afa1e/19-13-116f-data.pdf
Die Stellungnahme als PDF finden Sie hier.